Erfreuliches BFH-Urteil zur Berechnung der Beteiligungsschwelle bei Streubesitzdividenden

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Erträge aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, an denen eine Kapitalgesellschaft zu weniger als 10 % beteiligt ist, (sog. Streubesitzdividenden) sind voll körperschaftsteuerpflichtig.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 7. Juni 2023 (Az. I R 50/19) entschieden, dass die allgemeinen Grundsätze über die steuerliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 AO auch für die Berechnung der Beteiligungsschwelle nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sog. Streubesitzdividenden gelten. Für die Steuerpflichtigen ist dieses Urteil zur Berechnung der dafür notwendigen Mindestbeteiligung von 10 % am Grund- oder Stammkapital erfreulich.

Beteiligungshöhe ist maßgebend

Im Streitfall war die Klägerin, eine GmbH, zu 9,89 % als Aktionärin an der Y-AG beteiligt. Hauptaktionär war X, der zu 85,10 % beteiligt war. Am 16. Dezember 2013 erwarb die Klägerin von X weitere Aktien an der Y-AG. Der zu zahlende Kaufpreis war am 16. Dezember 2013 fällig. Allerdings stand der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums (insbesondere der Stimmrechte) an den Aktien unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung. Der laufende Gewinn für das Jahr 2013 sowie etwaige Gewinne aus früheren Geschäftsjahren sollten allein der Klägerin zustehen. Die Überweisung des Kaufpreises am 16. Dezember 2013 schlug jedoch fehl. Denn statt einer Abbuchung erfolgte eine Gutschrift auf das Konto der Klägerin. In der Folge kam es erst im Folgejahr (2014) zur Überweisung des Kaufpreises an X. Gleichwohl bezog die Klägerin im Streitjahr 2014 von der Y-AG für die Jahre 2012 und 2013 Dividenden, welche die Klägerin als steuerfreie Bezüge i. S. des § 8b Abs. 1 KStG behandelte. Das Finanzamt versagte die 95 %-ige Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 KStG und setzte die Dividenden in voller Höhe an. Denn seiner Auffassung nach habe die Klägerin habe zu Beginn des Kalenderjahres 2014 noch nicht über die nach § 8b Abs. 4 KStG erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % verfügt. Das Finanzgericht (FG) sah hingegen die Voraussetzungen für die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG als erfüllt an und gab der Klägerin bereits in erster Instanz Recht.

Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums ist maßgeblich

Auch der BFH sah die Voraussetzungen für die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG als erfüllt an und bestätigte daher die Auffassung des FG. Im Streitfall sei die 95%-ige Steuerbefreiung nicht durch § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG ausgeschlossen. Die Klägerin habe bereits am 1. Januar 2014 die erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % erfüllt. Denn für die Ermittlung der Beteiligungshöhe ist nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum abzustellen. Maßgeblich sei vielmehr die steuerrechtliche Zurechnung nach den allgemeinen Grundsätzen des § 39 AO. Obgleich der Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG an die zivilrechtlichen Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft, führt dies nicht dazu, dass deshalb die Anwendung der steuerlichen Zurechnung nach § 39 AO ausgeschlossen sei.

Zwar ist es zutreffend, dass die Klägerin zum 1. Januar 2014 noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der Aktien gewesen ist, welche sie mit Vertrag vom 16. Dezember 2013 von X erworben hatte und die ihre Beteiligungsquote an der Y-AG von 9,89 % auf 10,00 % erhöhen sollte. Denn die Eigentumsübertragung habe unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung gestanden, die aufgrund der Fehlbuchung der Bank der Klägerin tatsächlich erst nach dem 1. Januar 2014 erfolgte. Allerdings habe die Klägerin am 1. Januar 2014 nach den allgemeinen Grundsätzen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO bereits das wirtschaftliche Eigentum dieser Anteile erworben. Denn nach dieser Regelung sei ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über dieses Wirtschaftsgut in der Weise ausüben kann, dass er den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Die Klägerin habe bereits vor dem 1. Januar 2014 ein Anwartschaftsrecht erlangt, das ihr einseitig von dem Veräußerer nicht mehr hätte entzogen werden können. Der Umstand, dass die mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere die Stimmrechte) noch nicht übergegangen seien, war im Streitfall keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Es lag allein in der Hand der Klägerin, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises zu erfüllen und dadurch die Stimmrechte vollständig an sich zu ziehen, so der BFH.

Fazit für die Praxis

Das Urteil ist aus Sicht der steuerlichen Beratungspraxis zu begrüßen. Denn Steuerpflichtige können zukünftig in ähnlich gelagerten Fällen die Steuerbefreiung nach § 8b KStG in Anspruch nehmen, sofern das wirtschaftliche Eigentum an mindestens 10 % der Anteile rechtzeitig übergegangen ist. Zudem wird die vom BFH bestätigte Rechtsauffassung wohl auch auf andere Fälle der Zurechnung von Anteilen an Kapitalgesellschaften herangezogen werden können, so z. B. bei der Ermittlung der Beteiligungsschwelle von mindestens 15 % in § 9 Nr. 2a GewStG als Voraussetzung für eine Kürzung der Gewinnausschüttungen vom Gewerbeertrag sowie in Fällen des § 17 EStG.

Das Urteil zeigt aber auch, dass der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums an Kapitalgesellschaftsanteilen (und Personengesellschaftsanteilen) einen gewissen Auslegungsspiel-raum zulässt, der letztlich zu Rechtsunsicherheiten führen kann. In der Praxis wird man daher immer wieder vor der Frage stehen, wann das wirtschaftliche Eigentum nun tatsächlich übergegangen ist. Entscheidend werden regelmäßig die Gesamtumstände des Einzelfalls sein.

 

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