Der Regierungsentwurf zur dauerhaften Regelung der virtuellen Hauptversammlung von Aktiengesellschaften

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Seit gut zwei Jahren gibt es nun die pandemiebedingte Übergangsregelung für die Durchführung digitaler Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften ohne physische Präsenz der Aktionäre. Sie läuft jedoch am 31. August 2022 aus. Die Übergangsregelung ist in der Praxis gut angenommen worden und hat sich im Großen und Ganzen bewährt, sodass das Bundesjustizministerium nach einem Referentenentwurf (RefE) im Februar 2022 nun im April einen Regierungsentwurf (RegE) für eine dauerhafte gesetzliche Regelung vorgestellt hat. Ziel der Neuregelung ist, der fortschreitenden Digitalisierung des Aktienrechts Rechnung zu tragen und gleichzeitig die Wahrung der Rechte der Aktionäre zu sichern, indem die virtuelle der Präsenzversammlung deutlich angenähert wird.

Welche Neuerungen soll es geben?

Als zentrale Vorschrift soll ein neuer § 118a ins Aktiengesetz (AktG) eingefügt werden. Dieser legt, im Gegensatz zur Übergangsvorschrift, die Entscheidung für eine virtuelle Hauptversammlung wieder in die Hände der Aktionäre. Erforderlich ist eine Satzungsregelung, welche die virtuelle Durchführung vorsieht oder die Entscheidung darüber dem Vorstand überträgt. Damit die Legitimation der Entscheidung gewährleistet und die Präsenzversammlung weiterhin als Standard bestehen bleibt, muss die Regelung in beiden Fällen auf maximal fünf Jahre befristet werden.

Der neu vorgesehene § 130a AktG regelt die Stellungnahme- und Rederechte der Aktionäre. Bis zu fünf Tage vor der Versammlung können Stellungnahmen zu Tagesordnungspunkten elektronisch eingereicht werden. In der Versammlung muss den Aktionären dann ermöglicht werden, im Wege der Videokommunikation Redebeiträge zu leisten.

Im Übrigen wird auch das Anfechtungsrecht dahingehend eingeschränkt, dass technische Störungen als Anfechtungsgrund ausgeschlossen werden.

Welche Gestaltungsoptionen haben die Gesellschaften?

Neben der grundsätzlichen Entscheidung für oder gegen die virtuelle Hauptversammlung ist auch deren Art und Weise der Durchführung nicht in Stein gemeißelt. So wird die Möglichkeit eröffnet, das Fragerecht der Aktionäre im größten Teil auf den Zeitraum vor der Hauptversammlung vorzuverlegen. Entscheidet sich der Vorstand für diese Variante, müssen solche Fragen der Aktionäre, die sich aus der Tagesordnung ergeben und daher schon vorher gestellt werden können, bis zu drei Tage vor der Versammlung elektronisch eingereicht werden. Hierauf muss die Gesellschaft dann ihrerseits bis einen Tag vor der Versammlung an alle Aktionäre eine schriftliche Stellungnahme abgeben.

In der Versammlung sollen dann zunächst lediglich noch Nachfragen zulässig sein, die sich erst aus der Antwort des Vorstands ergeben. Neue Fragen dürfen grundsätzlich in der Versammlung dann nur noch gestellt werden, wenn sie sich erst nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Fragen ergeben haben. Für die Gesellschaft soll dies den Vorteil bringen, dass die Versammlung inhaltlich und im Umfang überschaubarer bleibt. Wenn der zeitliche Umfang es gestattet, sind dann auch noch Fragen zuzulassen, die schon im Vorfeld hätten gestellt werden können. Dadurch dient das vorgeschaltete Fragerecht nicht mehr dazu, Themen vorab abzuschichten, sodass fraglich ist, ob in der Praxis von der Möglichkeit des vorgeschalteten Fragerechts Gebrauch gemacht wird.

Weiter sieht der RegE keine inhaltlichen Einschränkungen bezüglich der zu behandelnden Gegenstände vor. Grundsätzlich können alle Themen einer Präsenz-Hauptversammlung auch in der virtuellen Hauptversammlung behandelt werden. Es soll den Gesellschaften jedoch freistehen, in der Satzung festzulegen, gewisse Gegenstände von der Möglichkeit der Behandlung in der virtuellen Hauptversammlung auszunehmen.

Was sind zwingende Vorgaben bei der Umsetzung?

Im RegE sind zwingende Vorgaben für die virtuelle Hauptversammlung niedergelegt, wie etwa die Übertragung der Versammlung in Bild und Ton sowie die Gewährleistung der Wahrnehmung aller auch bei einer Präsenz-Hauptversammlung bestehenden Aktionärsrechte im Wege der elektronischen Kommunikation. Hierfür muss den Aktionären auch der wesentliche Inhalt des Berichts des Vorstands bis spätestens sieben Tage vor der Versammlung zugänglich gemacht werden.

Was ist anders im Vergleich zum Referentenentwurf?

Der nun veröffentlichte RegE unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom vorangegangenen RefE. Der RefE wurde als nicht aktionärsfreundlich genug kritisiert, sodass der RegE nun stark in die Gegenrichtung tendiert und den Aktionären deutlich mehr Rechte eröffnet, teilweise sogar mehr als in der Präsenzversammlung.

Der wohl deutlichste Unterschied besteht im Umgang mit dem Rede- und Fragerecht der Aktionäre. Der RefE sah vor, dass die Zahl der Redebeiträge und deren Länge bei der Einberufung der Hauptversammlung festgelegt werden können und diese zuvor auch schriftlich angemeldet werden müssen. Die zuzulassenden Beiträge sollten nach der zeitlichen Reihenfolge ihres Eingangs bestimmt werden. Das hat deutliche Kritik erfahren, da diese Regelung etwa von internetaffinen Aktionären missbräuchlich dazu verwendet werden könnte, alle Redebeiträge zu beanspruchen.

Der RegE gewährt nun ein grundsätzlich uneingeschränktes Rederecht. Abweichend vom RefE dürfen in den Redebeiträgen nun auch (Nach-)Fragen gestellt und Auskünfte verlangt werden. Dies war dort noch explizit ausgeschlossen worden. Neu ist ebenfalls das dargestellte Fragerecht bezüglich solcher Fragen, die bereits vor der Versammlung hätten eingereicht werden können – sofern die zeitlichen Kapazitäten es erlauben. Einen ausufernden Fragenansturm können die Gesellschaften deshalb nur mit Hinweis auf den zeitlichen Rahmen entgegentreten. Ob sich das praktisch rechtssicher umsetzen lässt, ist hingegen eine andere Frage. Fakt ist jedenfalls, dass das Fragerecht der Aktionäre damit über die Rechte in der Präsenzversammlung hinaus geht.

Gegenanträge sind nach dem RegE nun auch spontan in der Versammlung möglich. Die Besonderheit: Hierfür ist jede Form der elektronischen Kommunikation zulässig. Das heißt sowohl die Videowortmeldung als auch durch Ausfüllen eines simplen Textfelds. Insbesondere letzteres dürfte stark die Hemmschwelle für sinnlose oder ausschweifende Anträge senken. Im RefE war im Übrigen auch nicht vorgesehen, dass gewisse Gegenstände durch Satzung von der virtuellen HV ausgeschlossen werden können.

Fazit: Vorteile mit Mehraufwand verbunden

Die virtuelle Hauptversammlung nach dem RegE hat einerseits unbestreitbar Vorteile gegenüber der Präsenz-Hauptversammlung. Nicht zuletzt senkt sie die Kosten der Durchführung, etwa durch Einsparung von Saalmiete und Catering und wird, nach den bisherigen Erfahrungen in der Pandemie, zu einer Steigerung der Teilnehmerzahlen geführt. Gleichzeitig ist sie in dieser Neugestaltung für die Gesellschaften mit nicht unerheblich höherem organisatorischem wie technischem Aufwand verbunden. Zusätzlich zum Aufwand der Fragenbeantwortung im Vorfeld – falls dies der Vorstand vorgibt – als auch in der Versammlung selbst, muss die Umsetzung der elektronischen Kommunikation gewährleistet werden. Ob dies in Zukunft bei weiterer Verbesserung der Pandemiesituation noch attraktiv sein wird, bleibt abzuwarten.

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