Verzinsung von Steuernachzahlungen mit jährlich 6 % ist verfassungswidrig

Doch nicht nur der Steuerpflichtige profitiert

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Steuernachforderungen und Steuererstattungen werden bisher nach Ablauf einer 15 monatigen Karenzzeit nach dem Ende des jeweiligen Kalenderjahres mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % verzinst. Hieraus ergibt sich eine jährliche Verzinsung von 6 %. Dadurch soll ein finanzieller Ausgleich des Vorteils erfolgen, den Steuerpflichtige durch das Hinauszögern von Steuerzahlungen erlangen. Gleichermaßen gilt die Verzinsung auch zugunsten der Steuerpflichtigen, wenn sie auf eine Erstattung warten müssen.

Während sich auf dem Geld- und Kapitalmarkt seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 ein Niedrigzinsniveau verfestigt hat, gilt der pauschale steuerliche Zinssatz unverändert seit sechs Jahrzehnten. Kritiker betrachteten das Festhalten an der ungewöhnlich hohen steuerlichen Verzinsung als obsolet, da es Sparern aktuell kaum möglich sei, Geld mit einem derartigen Ertrag anzulegen und somit das Ziel der Regelung, nämlich das Abschöpfen eines potentiell entstehenden Zinsvorteils, nicht mehr realitätsgerecht umgesetzt würde.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG)

Mit Beschlüssen vom 8. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, veröffentlich am 18. August 2021) hat das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt.

Den Urteilen liegen zwei Verfassungsbeschwerden zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf Gewerbesteuer gemäß § 233a AO zugrunde. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung war ein Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 14. Juli 2014. Das BVerfG hat die Verzinsung von Steuernachforderungen für die Zeiträume bis einschließlich 2013 für verfassungsgemäß erklärt. Soweit der Zinsberechnung für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird, verstoße die Regelung aber gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Das Gericht begründet dies damit, dass der Gesetzgeber zwar dem Grunde nach berechtigt ist, aus Vereinfachungsgründen den durch eine späte Steuerfestsetzung erzielten Zinsvorteil typisierend zu bestimmen. Allerdings darf er keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern müsse realitätsgerecht den typischen Fall zugrunde legen. Als Kriterien für die Bestimmung des Zinsvorteils hatte der Gesetzgeber nach Ansicht des BVerfG u.a. offenbar den Marktzins und einen Gleichlauf der Höhe von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Blick. Diese erachtet das BVerfG auch als sachgerecht. Bildete ein monatlicher Zinssatz von 0,5 % zunächst noch einen potentiell entstehenden Zinsvorteil realistisch ab, so ist dies nach Auffassung des BVerfG jedoch spätestens seit dem Jahr 2014 nicht mehr der Fall.

Auswirkungen für Steuerpflichtige

Von der Verzinsung erfasst werden die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer.

Das BVerfG hat eine monatliche Verzinsung in Höhe 0,5 % umfassend und für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber ist nunmehr verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungskonforme Neuregelung mit Rückwirkung zu treffen. Die Verpflichtung sieht jedoch nur eine Rückwirkung für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 vor und erfasst alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide. Für die Verzinsungszeiträume vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018 gilt ungeachtet ihrer Verfassungswidrigkeit die bisherige Regelung fort. Hieraus ergibt sich, dass eine Korrektur nur für alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erfolgen kann.

Zu beachten ist, dass die Neuregelung gleichermaßen für Erstattungen gilt, sodass es hier zukünftig auch zu einer niedrigeren Verzinsung zugunsten der Steuerpflichtigen kommen wird. Darüber hinaus müssen sich Steuerpflichtige auf anteilige Rückzahlungen von überhöhten Erstattungszinsen an das Finanzamt einstellen.

Wie hoch der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen sein darf, hat das BVerfG nicht festgelegt.

Auch in anderen Bereichen gibt das Steuerrecht seit Jahren feste Zinssätze vor. Bei Pensionsrückstellungen sind dies beispielsweise 6 % und für sonstige Rückstellungen und Verbindlichkeiten 5,5 %. Hierin sehen Unternehmen ebenfalls einen Widerspruch zu den tatsächlichen Marktbedingungen. Es bleibt zunächst abzuwarten, wie sich der Gesetzgeber in diesen Fällen positioniert.

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