Neue Stolperfallen beim Vorsteuerabzug:

EuGH zum Vorsteuerabzug aus Leistungen eines Ist-Versteuerers

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Das Recht eines Unternehmers auf Vorsteuerabzug ist ein fundamentaler Grundsatz und integraler Bestandteil des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems.

Der EuGH hatte im Rahmen eines vom FG Hamburg eingereichten Vorabentscheidungsersuchen über den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Leistungen durch einen Ist-Versteuerer zu entscheiden. Das FG Hamburg hatte Zweifel, ob die aktuelle Regelung des deutschen Umsatzsteuerrechts im Einklang mit der unionsrechtlichen Vorgabe steht. Im Ergebnis hat der EuGH diese Zweifel bestätigt und der nationalen Regelung eine Absage erteilt.

Nationale Regelung in Deutschland

Das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht regelmäßig dann, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung an ihn ausgeführt worden ist und ihm eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

Der Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, richtet sich bei Soll-Versteuerern regelmäßig danach, wann Leistungen ausgeführt worden sind („Besteuerung nach vereinbarten Entgelten"). Berechnet der Unternehmer die Umsatzsteuer hingegen nach vereinnahmten Entgelten, so entsteht die Steuer unabhängig vom Leistungszeitpunkt mit der Vereinnahmung des Entgelts für die jeweilige Leistung (Ist-Besteuerung). Für die Anwendung dieser Regelung hat der Unternehmer jedoch bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen.

EuGH-Urteil vom 10. Februar 2022, Rs. C-9/20

Der Auffassung, dass ein Vorsteuerabzug bereits mit Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung möglich ist, auch wenn der Ist-Versteuerer sein Entgelt noch nicht erhalten hat und die bei ihm entstandene Steuer noch nicht entstanden ist, folgt der EuGH nicht. Nach Ansicht des EuGHs entspricht die nationale Regelung nicht den unionsrechtlichen Vorgaben.

Hierzu verweist das Gericht insbesondere auf Art. 167 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSyStRL), der die allgemeine Regel aufstellt, dass das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch gegen den Leistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entsteht. Im Falle einer Leistung durch einen Ist-Versteuer ist dies im Zeitpunkt der Zahlung. Die Überlegung, dass es sich bei Art. 167 MwStSystRL nicht um eine strikte Vorgabe, sondern lediglich um eine „Leitidee" handele, verwirft der EuGH.

Folgen für die Praxis

Da der EuGH die bisherige Praxis im deutschen Umsatzsteuerrecht für unionsrechtswidrig erklärt hat, muss die deutsche Rechtslage an die unionsrechtliche Vorgabe angepasst werden.

Betroffen von einer solchen Änderung sind alle vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer, die Leistungen von einem Ist-Versteuerer beziehen. Zukünftig wird ein Vorsteuerabzug aus Leistungen solcher Unternehmer erst bei Zahlung möglich sein. Dafür muss für den Leistungsempfänger erkennbar sein, dass der leistende Unternehmer seine Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet. Andernfalls wäre dem Leistungsempfänger ein Rückschluss auf den zutreffenden Zeitpunkt für den Vorsteuerabzug nicht möglich. Hierfür wäre denkbar, dass die erforderlichen Rechnungsangaben des § 14 Abs. 4 UStG um einen weiteren Hinweis, nämlich die Eigenschaft des Leistenden als „Ist-Versteuerer", ergänzt werden. So sieht es auch das Unionsrecht bei der Kassenbuchführung vor (vgl. Art. 226 Nr. 7a MwStSyStRL).

Das Urteil bezieht sich auf den Vorsteuerabzug aus Leistungen eines Ist-Versteuerers. Ob es sich bei dem Leistungsempfänger um einen Soll- oder Ist-Versteuerer handelt, spielt keine Rolle.

Bis eine Änderung durch den deutschen Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung erfolgt ist, können betroffene Unternehmer die aktuelle Regelung weiterhin anwenden.

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