EuGH zur Weitergabe von Insiderinformationen durch einen Journalisten

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Mit einem vielbeachteten Urteil vom 15. März 2022 zum Insiderrecht (Az. C-302/20) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Begriff der Insiderinformation konkretisiert. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten rechtmäßig ist, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

Was war geschehen?

Ein Journalist, der regelmäßig über Marktgerüchte zu börsennotierten Gesellschaften berichtete, veröffentlichte auf der Website der Daily Mail in den Jahren 2011 und 2012 zwei Artikel, in denen jeweils Marktgerüchte über zwei mögliche Übernahmeangebote aufgegriffen wurden. In beiden Fällen wurde in dem Bericht über das mögliche Übernahmeangebot ein konkreter Preis für das kolportierte Kaufangebot genannt, der jeweils ca. 80 % über dem aktuellen Börsenkurs lag. Nach der Veröffentlichung kam es in beiden Fällen - kurzfristig - zu einem erheblichen Kursanstieg. Der Journalist hatte die Information über die bevorstehende Veröffentlichung seiner Artikel nach Erkenntnissen der zuständigen Finanzaufsichtsbehörde an Finanzanalysten weitergegeben, mit denen er sich seit Jahren über kapitalmarktrelevante Themen austauschte. Die Analysten sollen daraufhin unmittelbar vor der Veröffentlichung des jeweiligen Artikels Aktien der betroffenen Aktiengesellschaft gekauft und kurz nach der Veröffentlichung mit Gewinn verkauft haben. Gegen sie wurde jeweils eine Geldbuße wegen Insiderhandels verhängt. Auch der Journalist wurde mit einer Geldbuße von EUR 40.000 wegen der verbotenen Offenlegung einer Insiderinformation belegt. Hiergegen setzte sich der Journalist u.a. mit dem Argument zur Wehr, dass im Hinblick auf die Marktgerüchte keine hinreichend präzise Insiderinformation vorgelegen habe. Außerdem sei die Weitergabe für journalistische Zwecke gerechtfertigt gewesen. Das mit der Klage befasste nationale Gericht hat dem EuGH verschiedene Rechtsfragen zur Auslegung des EU-Insiderrechts vorgelegt.

Handelte es sich um eine Insiderinformation?

Erfolglos blieb die Argumentation des Journalisten, dass schon deshalb keine Insiderinformation vorgelegen habe, weil es nur um Marktgerüchte gegangen sei. Der EuGH führt zunächst aus, dass eine Insiderinformation präzise sein müsse. Dies bedeute zweierlei: Zum einen müsse es um Umstände gehen, die entweder bereits existierten oder zukünftig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Zum anderen müsse die Information spezifisch genug sein, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung für die Kursentwicklung zuzulassen. Als Insiderinformation komme im konkreten Fall nicht nur das mögliche (ungewisse) Übernahmeangebot selbst, sondern auch die (mit Gewissheit) bevorstehende Veröffentlichung über das Marktgerücht in Frage. Ob diese Information dann spezifisch genug sei, hänge maßgeblich von der Glaubhaftigkeit des Gerüchts ab. Als entscheidende Faktoren für die Glaubhaftigkeit nennt der EuGH neben der Präzision des Inhalts des Gerüchts auch die Bekanntheit des Journalisten und des Presseorgans, in dem die Veröffentlichung erfolgt. Nicht zuletzt wegen der konkreten Angaben zu dem Preis für das vermeintlich bevorstehende Übernahmeangebot war im Ergebnis eine präzise Information zu bejahen. Dies wurde auch durch die tatsächlich zu beobachtende Kursentwicklung nach der Veröffentlichung belegt. Der EuGH betont in diesem Zusammenhang, dass die Kursentwicklung nach der Veröffentlichung zwar als Beleg für die Kursrelevanz herangezogen werden dürfe, aber überprüft werden müsse, ob die Kursentwicklung nicht durch weitere vor der Veröffentlichung bekannte und offengelegte Angaben begründet sei.

War der Hinweis wegen der Pressefreiheit zulässig?

Zu der Frage, ob der Hinweis auf die bevorstehende Veröffentlichung mit Blick auf die Pressefreiheit zulässig gewesen ist, enthält das EuGH-Urteil keine abschließende Entscheidung. Das Urteil enthält jedoch einige sehr interessante Leitlinien für die journalistische Tätigkeit: Die Offenlegung der Information über die bevorstehende Veröffentlichung durch einen Journalisten gegenüber seinen üblichen Informationsquellen könne journalistischen Zwecken dienen und damit nach EU-Recht zulässig sein, wenn sie erforderlich sei, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen. Dies sei insbesondere denkbar, wenn die Offenlegung im Rahmen der Recherche und der Verifizierung des Gerüchts erfolge. Nicht ausdrücklich angesprochen wird, ob eine Offenlegung gegenüber einer üblichen Informationsquelle auch dann für journalistische Zwecke erforderlich sein kann, wenn sich der Journalist von einem regelmäßigen Informationsaustausch Vorteile für seine zukünftige Tätigkeit erhofft. Bei der Frage, ob ein solcher gegenseitiger Handel mit Informationen im Einzelfall zulässig ist, werden auch die journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen sein, auf die im EU-Insiderrecht ausdrücklich Bezug genommen wird.

In jedem Fall zu wahren: der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

In jedem Fall muss nach der Entscheidung des EuGH für eine rechtmäßige Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Demnach ist zu hinterfragen, ob es wirklich erforderlich ist, die gesamte Insiderinformation offenzulegen oder weiterzuleiten. Bezogen auf den konkreten Fall bedeutet dies, dass der Journalist die konkrete Höhe des vermeintlichen Übernahmeangebots möglicherweise für sich behalten musste, wenn nicht gerade dieses Detail für eine angestrebte Verifizierung des Gerüchts erforderlich war.

Ob es dem Journalisten im Ergebnis gelingen wird, das gegen ihn verhängte Bußgeld doch noch abzuwenden, bleibt daher abzuwarten. Nach Beantwortung der Rechtsfragen durch den EuGH ist nun wieder das nationale Gericht am Zug.

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