Bundesverwaltungsgericht kippt Vorkaufsrechtspraxis

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Im Frühjahr erklärte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. März 2021, Az. 2 BcF 1/20, BvL 5/2, BvL 4/20) den „Berliner Mietendeckel" für nichtig. Nun kippte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) auch die vorkaufsrechtliche Verwaltungspraxis in der Hauptstadt (Urteil vom 9. November 2021, Az. BVerwG 4 C 1.20). Dies hat wegweisenden Charakter – für die Ausübung des Vorkaufsrechtes nicht nur in Berlin, sondern deutschlandweit.

Was war passiert?

2017 schloss die klagende Immobiliengesellschaft einen Kaufvertrag über ein Grundstück in Berlin-Kreuzberg, das mit 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten bebaut ist. Aufgrund eines Fördervertrages mit der Stadt Berlin war eine Sanierung dieses Gebäudes zwischen 2003 und 2004 mit EUR 400.000 bezuschusst worden. Der Fördervertrag, der auf die Immobiliengesellschaft übertragen wurde, schützt die Mieter bis 2026 vor Mieterhöhungen und Modernisierungsmaßnahmen. Das Bezirksamt übte sein Vorkaufsrecht zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus und berief sich auf die Erhaltungsverordnung zum Schutz der Erhaltung der Zusammensetzung der Bevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen (die „MilieuschutzVO"). Die Immobiliengesellschaft ihrerseits weigerte sich, eine vom Bezirksamt vorgelegte Vereinbarung zur Abwendung des Vorkaufsrechtes zu unterzeichnen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen

Sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 17. Mai 2018, Az. 13 K 724.17) als auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22. Oktober 2019, Az. OVG 10 B 9.18) hielten die Ausübung des Vorkaufsrechtes aus § 24 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 BauGB für rechtmäßig. Dieses sei nicht durch § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB ausgeschlossen, der die Ausübung des Vorkaufsrechtes verwehrt, wenn „das Grundstück entsprechend den Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 S. 1 aufweist". Aufgrund des guten bis normalen Erhaltungszustandes der Immobilie war die Konformität mit § 177 BauGB zwischen den Parteien unstrittig. Streitig war aber, ob das Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme „bebaut ist und genutzt wird".

Die Vorinstanzen waren sich einig, dass der Wortlaut des Ausschlusstatbestandes zwar nicht auf die gegebene Fallkonstellation passe, da die gegenwärtige Nutzung der Immobilie im Einklang mit der MilieuschutzVO stehe. Das Gesetz sei allerdings teleologisch zu reduzieren. Das Vorkaufsrecht könne nur dann seiner Aufgabe gerecht werden, wenn auch künftige Entwicklungen und Veränderungsabsichten des Erwerbers berücksichtigt würden. Auch die Entstehungsgeschichte des Paragrafen lege diese Auslegung nahe. Vorliegend sei eine Umwandlung der preisgünstigen Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu erwarten. Hierfür sprächen die Weigerung, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen und der in Relation zu den erzielten Mieten auffallend hohe Kaufpreis. Ebenso sei eine Genehmigungsversagung unzureichend, um die Interessen der MilieuschutzVO zu gewährleisten, da mietpreissteigernde und verdrängende Sanierungsmaßnahmen dennoch möglich seien. Außerdem stehe der Gesellschaft unter gewissen Voraussetzungen wohlmöglich ein Anspruch auf Teilungsgenehmigung zu.

Die Entscheidung des BVerwG

Die klagende Immobiliengesellschaft wehrte sich gegen diese Rechtsauslegung, woraufhin das BVerwG das Berufungsurteil aufhob und der Klage stattgab. In der veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, der Wortlaut des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB verweise eindeutig auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei Neuregelung des BauGB die alte Rechtslage des BbauG, die bis 1987 galt, unverändert habe übernehmen wollen und lediglich die Formulierung der Vorschrift misslungen sei.

Mit Spannung erwarten wir die vollständige Begründung des Urteils, deren Veröffentlichung nach aktuellem Informationsstand bis zur 7. Kalenderwoche 2022 geplant ist. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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