„Stehengelassene“ Gesellschafterforderungen in der Insolvenz der Gesellschaft

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In seiner Entscheidung vom 11. Juli 2019 (Az. IX ZR 210/18) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Forderungen eines Gesellschafters, die aus einem üblichen Austauschgeschäft stammen und länger als drei Monate „stehen gelassen“ wurden, im Falle der Insolvenz der Gesellschaft nachrangig zu befriedigen und etwaige, bis zu einem Jahr zurückliegende Zahlungen auf solche Forderungen anfechtbar und zurückzuerstatten sind. Gewährt ein Gesellschafter, der mit mehr als 10 % am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, der Gesellschaft ein Darlehen, ist sein Darlehensrückzahlungsanspruch in der Insolvenz der Gesellschaft gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig, d. h. erst nach vollständiger Befriedigung aller übrigen Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Infolgedessen fallen Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft mit ihren Forderungen in aller Regel vollständig aus.

Auch Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, sind in der Insolvenz der Gesellschaft nachrangig. Das ist der Fall, wenn ihnen eine Kreditierungsfunktion zukommt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH entsprechen einem Gesellschafterdarlehen alle aus Austauschgeschäften herrührenden Forderungen des Gesellschafters, beispielsweise für erbrachte Dienstleistungen oder Lieferungen an die Gesellschaft, die der Gesellschafter der Gesellschaft rechtlich oder faktisch stundet. Eine faktische Stundung kann bereits bei einem unterlassenen Einfordern der Forderung bei Fälligkeit, mithin einem schlichten „Stehenlassen“, vorliegen. Denn nach der Rechtsprechung des BGH wirken sowohl eine Stundung wie auch ein tatsächliches Stehenlassen einer Gesellschafterforderung bei wirtschaftlicher Betrachtung gegenüber der Gesellschaft wie eine Darlehensgewährung.

Entscheidende Bedeutung kommt daher der Frage zu, wie lange eine Forderung rechtlich oder faktisch gestundet sein kann, bis ihrem „Nicht-Einfordern“ eine Kreditierungsfunktion zukommt und sie in einem Insolvenzverfahren gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig wäre. Mit seiner o. g. Entscheidung hat der BGH ausgeführt, dass von einer Kreditierungsfunktion im Allgemeinen bereits dann auszugehen sei, wenn der Gesellschafter eine fällige Forderung länger als drei Monate rechtsgeschäftlich stundet oder tatsächlich stehen lässt. Hierdurch gebe der Gesellschafter für gewöhnlich zu erkennen, der Gesellschaft eine darlehensgleiche Forderung zu belassen.

Im Ergebnis bedeutet diese Rechtsprechung für Gesellschafter, dass das Stehenlassen einer fälligen Forderung im Sinne eines „Nicht-Einforderns“ über einen Zeitraum von drei Monaten und mehr in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft die Nachrangigkeit der Forderung begründet und daraus im Regelfall ein vollständiger Forderungsausfall resultiert.

Die Einordnung einer gestundeten Forderung als nachrangig im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hat nicht nur Bedeutung für eine Befriedigung der Forderung im Insolvenzverfahren der Gesellschaft. Im Falle der Insolvenz der Gesellschaft sind zudem Zahlungen auf solche Forderungen, die im letzten Jahr vor Stellung des Insolvenzantrages geleistet wurden, ohne weitere Voraussetzungen gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar und an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen.

In der wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft muss der Gesellschafter daher berücksichtigen, dass auch ein bloßes Stehenlassen der Forderung erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeit einer quotalen Befriedigung sowie eine insolvenzanfechtungsrechtliche Rückforderung haben kann, sollte über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet werden.

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