Neues zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit

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Sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte sorgen in diesem Bereich für Bewegung: Es gibt Neues zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der Dauer der Entgeltfortzahlungspflicht und zum alkoholbedingten „Kater“ als Krankheit.

„Kater“ als Krankheit?

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat am 12. September 2019 (Az: 6 U 114/18) entschieden, dass die mit übermäßigem Alkoholgenuss verbundenen Folgen als Krankheit im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Lebensmittelinformations-VO einzustufen sind und werbende Aussagen, wonach ein Lebensmittel geeignet ist, diesen Folgen vorzubeugen oder diese zu lindern, unzulässig sind. Nach der Urteilsbegründung handelt es sich ausdrücklich um ein weites Begriffsverständnis von „Krankheit“ im lebensmittelrechtlichen Sinne. Dem Hersteller eines „Anti-Hangover-Shot“ wurden daher bestimmte Werbeaussagen für sein Produkt untersagt.

Lässt sich dieser Krankheitsbegriff auf das Arbeitsrecht übertragen und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Sollte ein Arbeitnehmer aufgrund der Folgen übermäßigen Alkoholkonsums am nächsten Morgen nicht in der Lage sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen, mag dies zwar eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sein. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass der Arbeitgeber auch das Entgelt fortzahlen muss. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt nämlich voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Im Normalfall wird der Arbeitgeber jedoch bei einem alkoholbedingten „Kater“ von einem Verschulden des Arbeitnehmers ausgehen können. Geld gibt es also keins.

Entgeltfortzahlung – nach sechs Wochen ist Schluss?

Der gesetzliche Entgeltfortzahlungsanspruch ist bekanntlich auf eine Dauer von sechs Wochen beschränkt. Dabei werden Krankheiten, die auf demselben Grundleiden beruhen, als sogenannte Fortsetzungserkrankungen zusammengerechnet. Aber auch bei einer völlig anders gearteten Erkrankung kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Überschreitens des Sechs-Wochen-Zeitraums ausgeschlossen sein.

In seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2019 (Az. 5 AZR 505/18) hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur „Einheit des Verhinderungsfalls“ bestätigt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist auch dann auf maximal sechs Wochen beschränkt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine andere Krankheit hinzutritt, die ebenfalls eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch von bis zu sechs Wochen entsteht in diesen Fällen nur, wenn die vorherige Arbeitsunfähigkeit beendet war, bevor die neue Arbeitsunfähigkeit begonnen hat. Im Streitfall muss der Arbeitnehmer beweisen, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt und dass er zwischendurch arbeitsfähig war – sei es auch nur für wenige Stunden oder am Wochenende.

Anhaltspunkte für den Arbeitgeber können sich aus den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben, etwa wenn sich diese zeitlich überschneiden. Aber auch bei unmittelbar aneinander anschließenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann ein einheitlicher Verhinderungsfall vorliegen. Hier kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Insbesondere wenn sich der Arbeitnehmer in unmittelbaren Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum erneut mit einer Erstbescheinigung krankmeldet, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, ihm nachzuweisen, wann die erste Erkrankung beendet war und bis dahin die Entgeltfortzahlung verweigern.

Freuden der Digitalisierung – Krankschreibung per WhatsApp?

Das Angebot eines Hamburger Start-ups, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Smartphone ohne Arztbesuch zu erhalten, war zunächst für Erkältungskrankheiten gestartet und hatte für ein großes Medienecho gesorgt. Später wurde das Angebot auf eine Reihe anderer Beschwerden ausgeweitet, etwa Migräne, Rückenschmerzen, Regelbeschwerden oder Blasenentzündung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dem Patienten vorab als Scan und anschließend im Original per Post übersandt.

Das Landgericht Hamburg hat mit seiner Entscheidung vom 3. September 2019 (Az.: 406 HKO 56/19) die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Erkältungskrankheiten über den Messenger-Dienst WhatsApp als wettbewerbswidrig angesehen und dem Anbieter verboten, für diese Dienstleistung mit bestimmten Aussagen zu werben.

Begründet wurde dies damit, dass es gegen die ärztliche Sorgfalt verstoße und mit den Berufsordnungen der Ärzte nicht zu vereinbaren sei, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch bei nur leichteren Erkrankungen regelhaft ohne persönlichen Kontakt und Untersuchung zu erteilen. Die Berufsordnung erfordere bei der Ausstellung von ärztlichen Attesten grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patient, weil sich der Arzt nur so einen unmittelbaren Eindruck vom Gesundheitszustand des Patienten verschaffen könne.

Dem ist im Grundsatz nichts hinzuzufügen. Auch im Hinblick auf Entgeltfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers ist der ansonsten hohe Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beeinträchtigt, wenn sie von einem Arzt ohne vorangegangene persönliche Untersuchung des Patienten ausgestellt werden. Ferner spricht für die Erschütterung des Beweiswertes, dass die gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 275 Abs. 1a b) SGB V zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen angehalten sind, wenn diese von einem Arzt festgestellt worden ist, der auffällig viele Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt. Dies dürfte die mit Anbietern von Online-Krankschreibungen kooperierenden Ärzte regelmäßig zutreffen – so wirbt etwa das schon erwähnte Hamburger Start-up mit über 30.000 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

Allerdings ist es für den Arbeitgeber schwierig, dies im Einzelfall zu erkennen. Indizien hierfür können sich aber aus einer auffälligen Entfernung zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Sitz des ausstellenden Arztes oder einer deutlich verzögerten Vorlage der Originalbescheinigung ergeben.

Die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt – aber erst ab 2022!

Der „gelbe Schein“ ist ein Auslaufmodell. Mit dem „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“ wurde ein einheitliches und verbindliches elektronisches Verfahren zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkassen beschlossen, das zum 1. Januar 2021 umgesetzt werden soll. Ob die Technik in dem geplanten Tempo mitspielt, bleibt abzuwarten.

Daran anknüpfend wird durch das „Dritte Bürokratieentlastungsgesetz“ auch die Vorlagepflicht für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 neu geregelt. Die Krankenkasse wird den Arbeitgeber dann auf Abruf elektronisch über Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit seines Arbeitnehmers sowie ggf. auch über die Anrechenbarkeit von Vorerkrankungen informieren. Die Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform entfällt. Allerdings gilt dies zunächst nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer.

Der Arbeitnehmer wird außerdem weiterhin verpflichtet bleiben, dem Arbeitgeber unverzüglich seine Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen.


Sollten Sie zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und ihren Folgen weitere Fragen haben, sprechen Sie uns gern an.

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