Befristungsrecht

Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundloser Befristung: 22 Jahre sind seeeeehr lang!

icon arrow down white

Das Befristungsrecht enthält eine Reihe von Voraussetzungen, die beachtet werden müssen, um ein Arbeitsverhältnis wirksam zu befristen. Neben dem strengen Schriftformerfordernis und den Besonderheiten im Falle einer Verlängerung spielt in der betrieblichen Praxis insbesondere das Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen eine bedeutsame Rolle.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun erstmals nach der Aufhebung der 3-Jahres-Grenze durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem konkreten Fall entschieden, dass eine sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung einer sachgrundlosen Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegensteht. Die Entscheidung vom 21. August 2019 (Az.: 7 AZR 452/17) nehmen wir zum Anlass, die in jüngster Zeit durch mehrere Entscheidungen in Bewegung geratene Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot noch einmal in Erinnerung zu rufen.

1.    Grundlage des Vorbeschäftigungsverbotes

Gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht zulässig, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Eine zeitliche Grenze für die Annahme einer unschädlichen Vorbeschäftigung ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Das BAG hatte hierzu im Jahr 2011 entschieden, dass eine Vorbeschäftigung einer neuen sachgrundlosen Befristung nicht entgegenstehe, wenn die Vorbeschäftigung mehr als drei Jahre zurückliegt (Urt. v. 21. September 2011 − 7 AZR 375/10). Diese für die betriebliche Praxis einfach zu handhabende zeitliche Grenze wurde im Juni 2018 vom Bundesverfassungsgericht für unwirksam erachtet (Beschl. v. 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14). Zwar erkannte auch das BVerfG an, dass das Vorbeschäftigungsverbot nicht grenzenlos gelten könne, jedenfalls wenn die Vorbeschäftigung ganz anders geartet oder nur von sehr kurzer Dauer war oder sehr lange zurückliegt. Irgendwelche Vorgaben dazu, wann einer dieser Ausnahmetatbestände vorliegt, ergaben sich aus der Entscheidung allerdings nicht. Der Blick richtete sich in der Folge wieder auf die Arbeitsgerichte, die nun aufgerufen sind, die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze zu konkretisieren.

2.    Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot

Das BAG hat im Nachgang zur Entscheidung des BVerfG seine bisherige Rechtsprechung erwartungsgemäß aufgegeben und im Jahr 2019 in mehreren Entscheidungen erste Konkretisierungen zu Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot vorgenommen.

Als mögliche unschädliche – weil „ganz anders geartete“ – Vorbeschäftigungen werden beispielsweise angeführt: geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studien- oder Familienzeit, eine Beschäftigung als Werkstudierender oder studentischer Mitarbeiter im Rahmen einer Berufsqualifizierung oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung nach einer Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht.

Eine unschädliche Vorbeschäftigung von „sehr kurzer Dauer“ liegt nach Ansicht des BAG jedenfalls nicht mehr bei einer Vorbeschäftigung mit einer Dauer von 18 Monaten vor. Eine positive Bestimmung dieses Kriteriums hat das BAG zwar bisher nicht vorgenommen, hat allerdings angedeutet, dass die maßgebliche Grenze bei drei Monaten liegen könnte (vgl. Urt. v. 23.01.2019 – 7 AZR 13/17).

Zu der Frage, wann eine Vorbeschäftigung „sehr lange zurückliegt“ und damit einer sachgrundlosen Befristung nicht mehr entgegensteht, waren vom BAG bisher nur Entscheidungen ergangen, in denen es die jeweilige Zeitspanne für nicht ausreichend erachtet hat. So sollten weder eine Zeitspanne von fünfeinhalb Jahren noch eine Zeitspanne von acht Jahren und neun Monaten für die Annahme eines „sehr langen“ Zeitraums genügen. Dementsprechend hatte das BAG in beiden Fällen die sachgrundlose Befristung für unwirksam erklärt (Urt. v. 23. Januar 2019 - 7 AZR 161/15 und 7 AZR 13/17). In einer weiteren Entscheidung (Urt. v. 17. April 2019 - 7 AZR 323/17) hat das BAG auch einen Zeitraum von 15 Jahren zwischen zwei Beschäftigungen als nicht ausreichend erachtet. Dieser Zeitraum, so das BAG, wäre kürzer als die längste Berechnungsgrundlage für die gesetzlichen Kündigungsfristen und bei einer unterstellten Dauer des Erwerbslebens von 40 Jahren wären insgesamt drei sachgrundlose Befristungen für die Dauer von jeweils zwei Jahren möglich. Dies führe dazu, dass die sachgrundlose Befristung nicht mehr die Ausnahme sei.

3.    Erstmalige Annahme eines „sehr langen“ Zeitraums

In dem der Entscheidung vom 21. August 2019 zugrundeliegenden Sachverhalt lag die Vorbeschäftigung der Arbeitnehmerin 22 Jahre zurück. In der Pressemitteilung führt das BAG unter Berufung auf das BVerfG aus, dass das Verbot der sachgrundlosen Befristung u.a. dann unzumutbar sein könne, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt. Der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG müsse in derartigen Fällen durch verfassungskonforme Auslegung eingeschränkt werden. Wenn die Vorbeschäftigung bei der erneuten Einstellung 22 Jahre zurückliegt, käme das Verbot der sachgrundlosen Befristung daher nicht zum Tragen, sofern keine besonderen Umstände vorlägen, die eine Anwendung gebieten.

Auch wenn sich das BAG in gewohnter Manier eine Hintertür für außergewöhnliche Konstellationen offenlässt, wird sich die betriebliche Praxis auf diese neue Grenze einstellen können. Unklar bleibt aber weiterhin, wo genau die Untergrenze für die Annahme eines „sehr langen“ Zeitraums liegt. Nach den bisher ergangenen Entscheidungen des BAG müsste diese Untergrenze zwischen 15 und 22 Jahren liegen, möglicherweise sogar – berücksichtigt man den Verweis des BAG aus dem Urteil vom 17. April 2019 auf die Berechnungsgrundlage für die gesetzlichen Kündigungsfristen – zwischen 20 und 22 Jahren. Ob die noch ausstehende Urteilsbegründung weiterführende Hinweise hierzu enthalten wird, bleibt abzuwarten.

Bis zur Klärung dieser Frage sollten Arbeitgeber bei sachgrundlosen Befristungen mit Arbeitnehmern, die bereits in der Vergangenheit in einem Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber – oder einem seiner Rechtsvorgänger – standen, äußerst vorsichtig agieren. Selbst in Fällen, in denen die Vorbeschäftigung mehr als 15 Jahre zurückliegt, ist eine kritische Risikoabwägung, insbesondere im Hinblick auf die Gleichartigkeit der neuen Tätigkeit, vorzunehmen.

4.    Organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung von Verstößen gegen das Vorbeschäftigungsverbot

Um vor der Vereinbarung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses prüfen zu können, ob der Kandidat bereits in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis mit dem künftigen Arbeitgeber bzw. einem seiner Rechtsvorgänger hatte, müssen geeignete interne Prozesse aufgesetzt werden.

Zu diesem Zweck dürfte sich eine Datenbank anbieten, in der Informationen zu beendeten Arbeitsverhältnissen gespeichert werden. Die Erstellung und Pflege einer solchen Datenbank dürfte sich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BAG auch aus datenschutzrechtlicher Sicht rechtfertigen lassen, sofern nur solche personenbezogenen Daten verarbeitet werden, die für die Ermittlung einer befristungsrechtlich kritischen Vorbeschäftigung unbedingt erforderlich sind. Unseres Erachtens gehören dazu der Vor- und Familienname sowie das Geburtsdatum des ehemaligen Arbeitnehmers, das Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie die ausgeübte Tätigkeit.

Dagegen wird zum Teil eingewandt, der Arbeitgeber könne entsprechende Fragen im Bewerbungsgespräch stellen, sich auf die Angaben des Bewerbers verlassen und ggf. das Arbeitsverhältnis wegen Täuschung oder Irrtums anfechten. Allerdings bietet dies keinen hinreichenden Schutz für Arbeitgeber. Sollte der Bewerber etwa fahrlässig falsche Angaben machen, weil er sich zu diesem Zeitpunkt nicht an die Vorbeschäftigung erinnert, dürfte es dem Arbeitgeber nach der aktuellen Rechtslage kaum gelingen, das unwirksam befristete Arbeitsverhältnis unter Hinweis auf die falsche Auskunft zu beenden. Insbesondere die Möglichkeit einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die ein vorsätzliches Verhalten voraussetzt, würde in einem solchen Fall ausscheiden. Eben so wenig muss ein Arbeitgeber nach unserer Auffassung die rechtliche Unsicherheit hinnehmen, ob eine Vorbeschäftigung als eine im Verkehr wesentliche Eigenschaft des Bewerbers angesehen wird, die eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 2 BGB rechtfertigen kann.

Sollten Sie hierzu oder zu weiteren Themen im Zusammenhang mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen Fragen haben, sprechen Sie uns gern an.

Über das Symbol diesen Artikel weiterempfehlen

Dazu passende Artikel

  • Dienstwagen: Wirksame Beendigung der privaten Nutzungsmöglichkeit?

  • Arbeitgeberbewertungen im Internet

  • Arbeitszimmer und Homeoffice-Pauschale: Neue Regeln ab 2023

  • Haben Arbeitnehmer ein Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit?